Freitag, 24. Mai 2013

XV GEBAEUDE ALS TIERE


Als Jean nun doch gebeten worden war, einige Anekdoten aus dem Schatz der Tätigkeiten der letzten Jahre in die Runde der Gäste zu werfen, die sich aus Anlass seiner Neueinsetzung versammelt hatten, zögerte er einen Moment, und leerte das grosse Glas, welches sich vor ihm befand mit einem Zug aus, erhob sich leicht schwankend, und begann, nachdem es etwas stiller geworden war, mit einer langen Erzählung, die noch die ganze Nacht durch die mitunter leise raunende Menge der Zuhörer wogte, und deren Tempo und Stilistik schwankte wie ein kleiner Kahn auf den Wogen des sonst still und unscheinbar daliegenden Mittelmeeres; und wie die Zuhörerschaft sich in das Auf und Ab der Worte und Figuren hineingehört hatte, das den Gästen dieser eigentlich unterhaltsam gedachten, doch nun mehr und mehr zur Beichte geratenden kleinen Spiels der Rede, zu dem es dem in Fahrt kommenden Dozenten geriet, bemächtigte sich die Fülle der Ereignisse, etwa so wie brandende Gischt sich um die am Strand eingepflockten Pfähle schlingt, der Ohren und Augen der Hörerschaft. Ja, auch deren Augen, denn je plastischer und Grösser die Erlebnisse sich aus dessen öffnenden und schliessenden, die Worte kauenden Mund in den Speisesaal ergossen, griff die Sprache um sich, und hüllte beinahe sämtliche Sinne der Anwesenden in einen dichten und packenden Nebel ein, und die immer wieder aufs Neue empor flammenden Bilder legten sich von innen auf die Netzhäute des Publikums, und wie ein immer stärker werdender Sog griff die Rede Jeans um sich, erfasste dabei die Körper des nun gänzlich zum Auditorium gewordenen Speisesaals; wie die Gesänge der Sirenen erfassten sie die ungebundenen Sinne der Hörenden und Sehenden, so dass sie sich wie in die Wasser nun in die Erinnerung, die ja nicht die ihre war, hineinwarfen, und darin zu schwimmen versuchten, dorthin woher die Töne kamen, die einmal eine Sprache gewesen war, aber nun eine andere Form der Kommunikation zu sein schien, die jede Form abgestreift zu haben schien, die sie Bewusstsein hätten genannt haben können, und sie trieben wie Blätter in einem Bach in den sich immerfort ergiessenden Worten dahin, die bald hier, bald da ein Thema zu erfassen, und wieder zu verwerfen schienen, und versuchten, die immer loser, aber rauschender ausgeschmückten Erzählungen in sich aufzunehmen, und mit jedem Mal, in dem sich das Schwimmen im Klang dieser einstigen Erzählung und der Drang nach Aufnahme durch das Trinken der Postsprachlichen Töne verwechselte, schienen sie mehr und mehr in diesem Fluss der Erzählung, oder dessen, was davon übrig war, zu ertrinken; bis sie beinahe ganz selbst zu dem geworden waren, das sie tranken. Jetzt schienen sie endlich schwimmen zu können, in etwas, das ganz sie selbst war, und so etwas wie eine Befreiung zu verspüren; obgleich dieser Austausch der Medien genau genommen das Gegenteil des gefühlten war. Es hatte sie zu etwas anderem werden lassen, und es war gänzlich aus der Aufnahme des gehörten erwachsen; eine Erzählung, aus der es kein entrinnen zu geben schien, und deren Erzähler sich mit dem Erzählten vermengt, und sich zum verschwinden gebracht zu haben schien. 

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