Sonntag, 5. Mai 2013

I BORGEN



"Lieber Jean, 
ich habe dir geschrieben, um dich vom durch mich ausgelösten Makel der Ahnungslosigkeit zu befreien, und Absolution von dir einzufordern. Ich glaube, dich mittlerweile gut genug zu kennen, um mit dir auch intime Details meines, an Begegnungen reichen, Lebens zu prüfen, und dich vorbehaltlos fragen zu können, wie ich die Gedanken und Ereignisse der letzten Tage zu kategorisieren habe, ja, ob es überhaupt einer solchen Kanonisierung bedarf, um Fragen, Wünsche und Leidenschaften der Seele in ein System zu bringen. Willst du mir helfen, und mich darin unterstützen, mich und alle die mit mir fühlen, zu befreien? Wenn du mir folgen willst, so betrete mit mir gemeinsam diesen Tempel der Innerlichkeit, und erkenne die Tiefe der Scham ob der Verwirrungen, die meine Gedanken erfasst haben, wo sonst Kontrolle zu walten scheint; falls du aber, und das will ich dir nicht gar übel anrechnen, sondern voll und ganz zu verstehen suchen, mir auf dieser gefahrvollen Reise, die ja vor allem die meine ist, nicht folgen willst, so lies von hier ab nicht weiter, und verbleibe mein Freund auch in der uns trennenden Gewissheit, hierin einmal nicht in meine Sorgen und Trübnisse mit hinabgestiegen, sondern mich nur ganz von der Sonnenseite beschienen zu erleben. Ich will es dafür nehmen, und nichts einfordern als deine vorbehaltlose und distanzierte Freundschaft, die sich im Frieden, in Mäßigung und in wohlmeinendem, freundlichen Abstand zum Anderen verhält…

Nun, da du mir folgst, verlass mich nicht. Es wird auch etwas von mir in dir, und etwas von dir in allen anderen sein, und uns verbinden über unsere Körper hinaus?…Ich werde ehrlich mit dir sein, aber es wird wenig sein, und du musst mir verzeihen, wenn ich es fordere und mir ein Hafen sein, wo ich treibe…das will ich von dir verlangen, und es wird das letzte und einzige Verlangen sein…Jeanne"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen